Die Zeit mit Michael . Eine Sommergeschichte by Wolfgang Körner

Autor:Wolfgang Körner [Körner, Wolfgang]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105606964
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-12-26T16:00:00+00:00

Sie war sich dessen kaum bewußt, und hätte jemand sie darauf aufmerksam gemacht, daß eine Veränderung in ihr vorgegangen sein müsse, hätte sie das gewiß lächelnd abgestritten und diese Veränderung keinesfalls mit den Schlüsseln in Zusammenhang gebracht, die sie ihm gegeben hatte. Es gehe ihr gut, hätte sie vielleicht gesagt, der Beruf mache ihr Spaß, man müsse einfach zufrieden sein bei so einem Wetter, bei einem Spätsommer, der noch warm sei wie ein Juli oder August, aber es sprach sie niemand darauf an, daß sie jetzt gewöhnlich im Kleid in die Schule kam oder in Rock und Bluse und nur noch selten in Jeans oder Cord. Die Kollegen mochten hinter ihrem Rücken über sie tuscheln, und Frau Nitz mochte ihre Bemerkungen äußern, Christiane kümmerte sich nicht darum, und als der Buchhändler vor einigen Tagen angerufen und gefragt hatte, ob er sie zum Kammerkonzert abholen solle, hatte sie sich freundlich für sein Angebot bedankt und gesagt, daß sie mit einem Freund zum Konzert wolle, aber man könne gewiß nachher noch irgendwo ein Glas Wein zusammen trinken. Jetzt, wo sie zum Lehrerparkplatz fuhr, erinnerte sie sich wieder an Michaels dunklen Anzug und seine silbergraue Krawatte, die er sich leise fluchend vor dem Badezimmerspiegel um den Hals gebunden hatte. Der arme Michael, dachte sie, im Anzug und weißen Hemd beim Kammerkonzert, und alles nur meinetwegen. Sie stellte sich wieder vor, wie er unruhig auf dem Polsterstuhl gesessen hatte, die Pause fiel ihr wieder ein, wo er zugegeben hatte, daß er zwar durchaus nichts gegen klassische Musik habe, ihm aber Coltrane ehrlich gesagt lieber sei. Nun ja, dachte sie, dafür ist er wenigstens nach dem Konzert auf seine Kosten gekommen. Sie erinnerte sich an das Weinlokal, an den kleinen Tisch, an dem sie gesessen hatten und an die Beharrlichkeit, mit der Michael den Buchhändler von der Gefährdung durch Kernkraftwerke zu überzeugen versucht hatte, und das nicht einmal vergeblich. Trotz der Skepsis, mit der sich der Buchhändler oft zu Reformen, etwa des Strafgesetzbuchs oder des Strafvollzugs, äußerte, trotz seiner Ablehnung der politischen Willensbildung durch Parteien, mit Michaels Widerstand gegen Kernkraftwerke hatte er sich anzufreunden vermocht, und als Christiane jetzt ihren Wagen abschloß, fand sie, daß diese Übereinstimmung in den Ansichten der beiden, wenigstens in diesem Punkt, nicht erstaunlich war. Im Weltbild des Buchhändlers, der für die Selbständigkeit Schaumburg-Lippes eingetreten war und das Land am liebsten von einem Fürsten regiert gesehen hätte, war für Kernkraftwerke einfach kein Platz.

Sie ging über den Schulhof, sah, daß die Kastanienbäume schon deutlich sichtbare grüne stachelige Kugeln zwischen den Blättern trugen, dann kamen die ersten Kinder, gingen einzeln oder in kleinen Gruppen ins Schulhaus. Einige grüßten, und sie nickte zurück, andere schlurften mürrisch, noch müde an ihr vorbei und schienen sie überhaupt nicht zu bemerken. Als sie das Schulgebäude erreicht hatte, hörte sie ein Kind ihren Namen rufen, sie blieb stehen, wartete, bis der Junge aus ihrer 1b bei ihr war.

»Fräulein Schneider«, sagte er noch ganz außer Atem, »ich habe ein Schiff für Sie gebastelt, darf ich es Ihnen schenken?«

Er hakte

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